Kinder sind viel mehr als ihre Schulnoten
Da ist es und das gleich vier Mal bei mir Zuhause: Das Halbjahreszeugnis. Eine Mischung aus Text (bei meinen Erstklässlern), Zensuren (bei meinem Oberschüler) und Punkten (bei meiner Abiturientin). Davon kann ich mir jetzt etwas aussuchen, auch wenn das Zeugnis durchaus den Anspruch erhebt, Eltern eine absolute Wahrheit zu vermitteln. Doch kaum etwas ist subjektiver als Zensuren und von daher sollten sie auch unter Vorbehalt betrachtet werden. Wichtig für die akademische Karriere des Kindes sind sie dennoch und so führt zwei Mal im Schuljahr kein Weg an dieser Form der Beurteilung vorbei.
Was also sagen die Zensuren auf dem Zeugnis wirklich aus?
Sie sagen nicht unbedingt aus, was das Kind in einem Fach gelernt hat. Sie sagen vielmehr aus, was es geschafft hat, sich unter den gegebenen Umständen anzueignen. Letztlich heißt das für uns: Unsere Kinder haben mehr Potenzial, als es ihr Zeugnis abbildet. Das sollte eine riesige Erleichterung sein für alle Eltern, die sich häufig Sorgen um die Schulnoten ihrer Kinder machen.
Denn sie haben nicht nur geschafft, die Aufgaben der Lehrer bestmöglich zu erfüllen. Sie haben zudem gelernt, ihre eigene Arbeit zu organisieren. Selbstständig Aufgaben einzuteilen, Inhalte zu erschließen und zu bearbeiten sind elementare Fähigkeiten, die in Schulnoten nicht abgebildet werden. Nicht immer gelingen diese Fähigkeiten in Gänze – natürlich nicht, dafür sind es ja auch Kinder, die sich auf einem Lernweg befinden. Doch ihre Kompetenzen sind nun deutlich ausgeprägter, als sie es noch vor einem halben Jahr waren. Und dafür sollten wir unsere Kinder loben!
Das Zeugnis ist also ein Indikator für die fachlichen Kompetenzen unserer Kinder – nicht mehr und nicht weniger. Es sagt nichts darüber aus, wie weit ein Kind über sich selbst hinausgewachsen ist. Wie sehr es sich angestrengt hat, auch wenn die Zensuren nicht so gut sind wie vielleicht erhofft. Ein Zeugnis bildet nicht ab, welche individuelle Weiterentwicklung ein Kind in den letzten Monaten bewältigt hat – besonders unter den Bedingungen der letzen Zeit. Es kann nicht zeigen, welche Hürden es innerlich überwunden und welchem Druck es standgehalten hat. Diese wichtigen Kompetenzen werden auch auf diesem Halbjahreszeugnis nicht sichtbar sein.
Das Zeugnis als Puzzleteil
Und dennoch sind sie da. Weniger denn je bildet dieses Zeugnis unsere Kinder als vollständige Individuen ab, die sie nun einmal sind. Es zeigt lediglich den Wissensausschnitt, der auf kognitiver Ebene erarbeitet wurde. Doch ein Ausschnitt ist nun einmal nur ein Teil eines Gesamtbildes. Der Komplexität der Fähigkeiten unserer Kinder wird es daher auch nur in Teilen gerecht.
Also lobt eure Kinder für all das, was sie in den letzten Wochen geleistet haben. Besonders auch dann, wenn die Noten nicht überall dem entsprechen, was im vergangenen Sommer auf dem Zeugnis stand oder was eure Kinder erwartet haben. Nehmt sie in den Arm, fangt sie auf und macht ihnen Mut für das zweite Halbjahr. Die schwierigen Bedingungen der Corona-Zeit stellen auch für Kinder eine große Herausforderung dar und wir sollten ihre zarten Kinderseelen nicht durch zusätzlichen Druck und enttäuschte Erwartungen belasten.
Stress haben wir doch alle schon genug. Nun sollten wir uns bemühen, als Familien unsere Akkus gemeinsam wieder aufzutanken. Kuscheln, loben und eine fröhliche gemeinsame Aktivität zum Abschluss des ersten Schulhalbjahres 21/22 tun allen Familienmitgliedern gut.
In diesem Sinne: Einatmen, ausatmen – und mit viel Schwung ins zweite Halbjahr 2022 starten!
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